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Der Schriftspracherwerb

 

Schriftspracherwerb ist ein Begriff der Psychologie und Erziehungswissenschaften für den Entwicklungsprozess von Literalität und schriftsprachlicher Handlungskompetenz. Er integriert die Dimensionen des Ästhetischen, Sozialen und Technischen in ein umfassendes Modell des „Schriftspracherwerbs als Denkentwicklung“

 

Begriff

Schriftspracherwerb wurde erstmals 1976 vom Psychologen Egon Weigl gebraucht für die Synthese der Lernaspekte von Lesen und Schreiben und als Erweiterung ihres bis dato verkürzten Verständnisses als Kulturtechniken. Über den Erwerb dieser Techniken hinaus gelten heute ebenso „Inhalte, Bedeutung und Funktion des Geschriebenen […] als konstitutive Elemente für den Erwerb der Schriftsprache.“

Schriftspracherwerb findet durch Erwerb meist inzidentell statt; in Lehr-Lernsituationen auch implizit und ist zu unterscheiden von Modellen des intentionalen Lernens von Lesen und Schreiben. Zugleich gilt es als erwiesen, dass die grundlegenden psychischen Prozesse beim Schriftspracherwerb auch von den konkreten Methoden des frühen Schreib- und Leseunterrichts abhängig sind. Der Begriff hat Eingang in die Grundschul-Rahmenlehrpläne zahlreicher Bundesländer gefunden.

 

Historische Leselernmethoden

Buchstabier-Methode

 Spätestens seit Erfindung des Buchdrucks wurde Lesen gelehrt nach dem Vorbild der beweglichen Lettern: als ein Aneinanderreihen von Buchstaben­namen. Der Lehrgang verlief meist dreistufig. Zunächst wurden die Buchstabennamen des Alphabets auswendig gelernt, um dann einen Fibellehrgang zum Silben­lesen zu durchlaufen. Schließlich wurde das Buchstabieren von Wörtern kombiniert mit dem Silbe- und Ganzwortlesen. Lernende würden das Lernwort Vater etwa wie folgt aussprechen: „Fau-aa: Faa. Tee-ee-er: ter. Faater“. Im Jahr 1872 wurde die Buchstabiermethode in Preußen amtlich verboten.

 Lautiermethode

 Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts konzipierte der deutsche Grammatiker Valentin Ickelsamer eine Lesemethode, die sich nicht an den Buchstabennamen, sondern den Lauten des gesprochenen Wortes orientiert. Er stellte die Anzahl der unterscheidbaren Laute in direkten Bezug zur Anzahl der Buchstaben eines Wortes. Diese Anlehnung der Schrift an die gesprochene Sprache durch Ickelsamer gilt noch heutigen didaktischen Ansätzen als höchst bedeutsam. Größere Verbreitung fand die Lautiermethode allerdings erst knapp dreihundert Jahre später, nach 1802, durch den bayrischen Schulreformer Heinrich Stephani.

 Anlautmethode

 Ein Zeitgenosse Ickelsamers, der Mainzer Drucker Peter Jordan entwickelte in seinem Werk Leyenschul von 1533 die Lautiermethode weiter, indem er die Anlaute eines Wortes zur Lautgewinnung heranzog. Er schuf dabei die erste Anlauttabelle, welche den Lernenden drei Dinge vor Augen führte: den Buchstaben, ein lautgetreu anlautendes, geschriebenes Wort sowie eine Abbildung (z. B. IIgel – sowie ein Bild eines Igels). Jordans Anlautmethode wird bis heute in unterschiedlichster Weise angewendet und stetig weiterentwickelt, zu den modernen Varianten zählen Computer-Anlaut-Tastaturen oder kommerzielle Angebote wie die Buchstabenfiguren Die Alphas.

 Naturlautverfahren

 Verwandt mit dem Anlautverfahren ist die oft als Naturlautverfahren bezeichnete Methode des Pädagogen Johann Amos Comenius, welches vermeintlich „natürliche“ Laute wie Tierstimmen zur Lautgewinnung heranzog. In seinem Werk Orbis sensualium pictus von 1658 schlug Comenius vor, Lernende sollten Naturlaute nachahmen, um so Laut und entsprechenden Buchstaben in Verbindung zu bringen. Zum Beispiel zeigte er ein Bild einer Krähe, daneben stand „Cornix cornicatur. Die Krähe krechzet. á á | Aa“. Trotz der Kritik, dass menschliche und tierische Laute nur sehr bedingt miteinander verglichen werden können, ist die Naturlautmethode bis heute in Fibeln präsent.

 

Klassische Methoden

Für das Lesen- und Schreibenlernen wächst die Zahl der Unterrichtsmethoden stetig. Prägend für das 20. Jahrhundert war der sogenannte Methodenstreit zweier grundsätzlicher Positionen: synthetisch (einzelheitlich) versus analytisch (ganzheitlich). Die synthetische Methode (zu der auch die Anlautmethode zählt) nahm den Buchstaben bzw. den einzelnen Laut als Ausgangspunkt, die analytische dagegen größere (Sinn-)Einheiten wie Wörter oder auch kurze Sätze. Zahlreiche empirische Studien konnten bei Lernenden kaum Leistungsunterschiede, wohl aber qualitative Unterschiede in der Fehlerhäufung nachweisen, so dass der Schriftsprachdidaktiker Hans Brügelmann 1997 feststellte, beide Methoden seien „nicht gleich gut, sondern gleich schlecht, um Kindern den Zugang zur Schrift zu eröffnen.“

Synthetische Methode

Diese Methode verfolgt eine Synthese (= ein Zusammensetzen) von Lauten und Buchstaben zu Silben und Wörtern. Ihr Ablauf wird meist in einer dreifachen Sukzession beschrieben: den Stufen der Lautgewinnung, Lautverschmelzung und der Stufe des zusammenfassenden Lesens. Zur Lautgewinnung zählen u. a. die oben erwähnte Anlautmethode sowie die Naturlautmethode. Letztere wurde zusammen mit der Empfindungslautmethode (z. B. [m:] für „lecker“) auch Sinnlautmethode genannt, da sie versuchen, einzelnen Lauten einen Sinn beizumessen. Die so gewonnenen Laute sollten die Lernenden dann schnell hintereinander aussprechen, was in der Theorie zu einer Lautverschmelzung führt - gegebenenfalls unterstützt durch phonomimische Gebärden. Auf der dritten Stufe des Lesens sind die Lernenden dann fähig, das Ganze des Wortes und seine Bedeutung zu erfassen, bevor sie es aussprechen.

Analytische Methode

  • Ganzwortmethode: Dem Lesenlernenden werden ausgewählte, geeignete ganze Wörter präsentiert (zum Beispiel OMA), so dass sich das Wort als Wortbild einprägen kann. In einem weiteren Schritt werden Worte verglichen (zum Beispiel oMa und oPa), wodurch Buchstaben – sozusagen Teile von Wörtern – gelernt werden.
  • Ganzsatz-Methode
  • Normalsatz-Methode

Analytisch-synthetische Methoden

Als Konsequenz des Methodenstreits sind heute sogenannte analytisch-synthetische Methoden verbreitet, die Aspekte der analytischen wie der synthetischen Methode zu einer neuen Methode integrieren. Gemeinsam im Ablauf ist ihnen, dass Lernende zunächst die Folge der einzelnen Laute eines gesprochenen Wortes erkennen (analysieren), dann den analysierten Lauten Buchstaben zuordnen (eine Phonem-Graphem-Korrespondenz herstellen) und abschließend das Wort schriftlich mittels Buchstaben wieder zusammensetzen (synthetisieren). 

Schreibkompetenz

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